Während die vollständige Erholung der globalen Wirtschaft noch einige Jahre dauern wird, streben Teile der Aktienmärke bereits wieder neuen All-Time-Highs entgegen. Das muss kein Widerspruch sein, wirkt sich die Covid-19-Pandemie auf verschiedene Bereiche der Wirtschaft doch in sehr unterschiedlicher Weise aus. 

Der Tiefpunkt in der Corona-Krise dürfte überwunden sein. Davon geht zumindest der Sachverständigenrat der Bundesregierung in seinem jüngsten Konjunkturgutachten aus. Demnach würde dem stärksten Einbruch der deutschen Wirtschaft seit Bestehen der Bundesrepublik (-9,7% allein im 2. Quartal) bereits im Sommer eine gewisse Erholung folgen (+4,3%). Für das Gesamtjahr erwarten die Wissenschaftler einen Rückgang des realen Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 6,5%, für 2021 rechnen sie mit einem positiven Wachstum von 4,9%. Ein Jahr später könnte die heimische Wirtschaft wieder auf Vor-Corona-Niveau ansteigen.

200708 Wirtschaftsentwicklung

Dabei handelt es sich bei Deutschland natürlich nicht um eine einsame Insel, sondern um eine offene Volkswirtschaft, die in den internationalen Waren- und Dienstleitungsverkehr stärker eingebunden ist als die meisten anderen Industrienationen. Viel wird deshalb davon abhängen, wie die globale Wirtschaft den Corona-Schock verdaut. Die Weltbank rechnet hier für 2020 – das Ausbleiben einer zweiten Welle vorausgesetzt – mit einem Einbruch um 5,2% (Basisszenario), dem im kommenden Jahr ein Anstieg um 4,2% folgen soll. Genährt werden die Hoffnungen auf eine schnelle Erholung durch Stützungs- und Liquiditätsmaßnahmen der Notenbanken in historischem Ausmaß sowie gigantische Konjunkturprogramme praktisch aller großen Ökonomien wie auch der Europäischen Union. Allein die deutsche Wirtschaft soll mit einem „Wumms-Paket“ in Höhe von 130 Mrd. Euro wieder in Gang gebracht werden.

Digitale Transformation im Zeitraffer

In der einen oder anderen Form wird unsere gesamte Wirtschaftstätigkeit von Covid-19 tangiert. Nahezu alle Branchen sind betroffen, wobei die bereits absehbaren Folgen allerdings sehr unterschiedlich ausfallen. So ist der internationale Tourismus entlang der gesamten Wertschöpfungskette nahezu vollständig zum Erliegen gekommen und auch das Hotel- und Gaststättengewerbe steht massiv unter Druck. Von einigen großen Anbietern abgesehen, werden beide Sektoren von Klein- und Kleinstbetrieben dominiert. Ähnliches gilt auch für die Veranstaltungsbranche. Einmal entstandene Einnahmeausfälle sind in diesen Bereichen nicht wieder aufzuholen, die Zahl der Insolvenzen wird deshalb deutlich ansteigen. Etwas besser sieht es in anderen Sektoren aus, wie etwa dem Baugewerbe, das von den Auswirkungen der Corona-Pandemie bisher vergleichsweise gering betroffen ist.

Andererseits gibt es durchaus auch Gewinner. Neben Teilen des Gesundheitswesens sind dies vor allem digitale Technologien, die dem „StayHome“ dienen. Hierzu zählen etwa Anbieter von Plattformen für die ortsübergreifende Zusammenarbeit sowie von Cloud-Ressourcen, der Onlinehandel oder auch Streaming-Dienste. Der digitale Fortschritt hat „Dank“ Corona nochmals erheblich an Dynamik gewonnen. So spricht Microsoft-Chef Satya Nadella dann auch davon, in zwei Monaten zwei Jahre digitale Transformation erlebt zu haben.

Die Nasdaq als Taktgeber

Diese Veränderungen spiegeln sich auch in der Entwicklung der Aktienmärkte nach dem Corona-Crash wider. So wurde die Erholung an den Börsen insbesondere von den Digitalisierungsgewinnern angeführt. Amazon, Apple, Alphabet, Microsoft usw. haben inzwischen durchweg neue Höchststände erreicht und Aktien wie Zoom oder Teamviewer sind geradezu explodiert. Während viele Unternehmen der Old Economy auf Staatshilfe angewiesen sind, sie ihre Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken müssen, Dividenden gekürzt und Aktienrückkaufprogramme eingestellt werden, nutzen die Tech-Giganten ihre enormen finanziellen Ressourcen dazu, ihre Macht und Marktstellung in der Corona-Krise weiter auszubauen („The winner takes it all“). Entsprechend hat der technologielastige Nasdaq 100 mit über 10.000 Punkten inzwischen neue All-Time-Highs markiert. Auf Basis der für 2020 prognostizierten Gewinne entspricht der aktuelle Indexstand einem KGV von knapp unter 30. Dies liegt zwar deutlich über dem langfristigen Durchschnitt, auf Basis der für 2021 erwarteten Werte sind es aber „nur“ noch 24,6.

200708 Technologiewerte

Im Dow Jones sind es ebenfalls Apple, Microsoft, Ciso und Co., die einen hohen Anteil an der Erholung haben. Nach dem Wirecard-Skandal fehlen klassische Corona-Gewinner im DAX dagegen nahezu vollständig (Ausnahme: SAP). Hier stellt sich für Anleger deshalb im Wesentlichen die Frage, wie stark die einzelnen Gesellschaften von etwaigen gesetzlichen Einschränkungen, dem abgeschwächten Konsumklima und zusätzlichen Produktionskosten, beispielsweise im Rahmen von Hygienemaßnahmen, betroffen sind. Dabei sollte der Digitalisierungsschub als Solches mittel- bis langfristig aber auch deutschen Blue Chips sowie dem heimischen Mittelstand, bei dem es übrigens eine ganze Reihe von Corona-Gewinner gibt, zugutekommen.

Digitalisierung der Old Economy

Als gutes Beispiel lässt sich in diesem Zusammenhang der VW-Konzern anführen, der die Integration seiner Fabriken in die Volkswagen-Cloud derzeit fieberhaft vorantreibt. Durch die standardisierte Datenauswertung aller 124 Werke sowie die dadurch ermöglichten Effizienzsteigerungen in Produktion und Logistik verspricht sich der Autobauer Kostensenkungen von mehreren Milliarden Euro. Zum 1. Juli startet in der neuen Software-Einheit nach monatelanger Vorbereitung zudem die Entwicklung eines eigenen Auto-Betriebssystems. Insgesamt sollen in den kommenden fünf Jahren über 7 Mrd. Euro in die Aufgaben und Projekte der Car.Software-Organisation investiert werden. Langfristig wollen sich die Wolfsburger auf diese Weise zu einer „Mischung aus Auto- und Software-Konzern“ weiterentwickeln. Vorbild für den Aufbau der Software-Produktion bei Volkswagen sowie der eigenen Cloud dürfte Tesla sein.

Fazit

Alles in allem haben sich die Aktienmärkte deutlich schneller vom Corona-Crash erholt als dies die aktuelle Wirtschaftsentwicklung rechtfertigt. So dürfte das globale Vorkrisen-BIP frühestens 2022 wieder erreicht werden – und das wohl auch nur beim Ausbleiben eines zweiten größeren Lockdowns sowie der mittelfristigen Entwicklung eines geeigneten Impfstoffs. Trotz diverser anderer Risiken (Handelskriege, explodierende Staatsschulden, No-Deal-Brexit, usw.) liegt die größte Gefahr für die internationalen Kapitalmärkte damit klar auf der Hand. Die Volatilität an den Märkten wird zunächst überdurchschnittlich hoch bleiben, Ausschläge in die eine wie die andere Richtung werden stark von der jeweiligen Stimmungslage geprägt sein.

Gleichzeitig ergeben sich durch die Corona-bedingte Beschleunigung des disruptiven Wandels für erhebliche Teile der Wirtschaft, angefangen beim Handel, über die Industrie bis hin zu weiten Bereichen des Dienstleistungssektors aber auch große (ökonomische) Chancen. Von möglichen Digitalisierungsgewinnen einmal abgesehen, stellen globale Krisen zudem nicht selten die Basis für signifikante Produktionsfortschritte innerhalb einer Volkswirtschaft dar, und die überlebenden Unternehmen gehen häufig gestärkt aus ihnen hervor. Viel, wenn nicht sogar alles, wird dabei allerdings wie gesagt davon abhängen, dass eine zweite Corona-Welle mit erneutem Shutdown vermieden werden kann. Diesbezüglich ist sicherlich auch an die Vernunft jedes Einzelnen von uns zu appellieren.